Josef Popper-Lynkeus

das ist Josef Popper
geb. Kolin, Böhmen [Kolín, Tschechische Republik], am 21. Februar 1838
gest. Wien, am 22. Dezember 1921
Erfinder, Philosoph und pazifistischer Sozialreformer





Josef Popper, letztes Kind von Abraham Popper, Inhaber eines kleinen Tuch- und Sämereigeschäftes, und Katharina Popper, geborene Kohn, Tochter eines jüdischen Gelehrte, hatte vier Geschwister: den Kaufmann David Popper und drei weitere Brüder, die im Kindesalter starben. Josef Popper besuchte die jüdische Schule im Getto von Kolin und ab 1847 die Kreishauptschule in Kolin. Seit 1851 besuchte er die Ständische Ober-Realschule in Prag, wo er 1854 die Matura ablegte. Anschließend studierte er theoretische und angewandte Naturwissenschaften am deutschen Polytechnikum in Prag und war 1856 bis 1857 Assistent des ordentlichen Professors der Höheren Mathematik Cal Jelinek (1822–1876) und des ordentlichen Professors der Praktischen Geografie und Forstenzyklopädie Karl František Eduard (seit 1879: Ritter von) Kořistka (Brüsau, Mähren [Březová nad Svitavou, Tschechische Republik] 1825 – Prag [Praha] 1906). 1857 bis 1959 studierte Popper theoretische und angewandte Naturwissenschaften am Polytechnikum in Wien.
1859 bis 1861 arbeitete er als Angestellter der kommerziellen Abteilung der »k(aiserlich) k(öniglichen) Staats-Eisenbahn-Gesellschaft« in Prag und seit August 1861 im Banát, schied aber kurz darauf wegen häufiger Krankheiten aus seinem Beruf aus.
1861 ließ sich Popper in Wien nieder. Zunächst war er Privatlehrer für naturwissenschaftliche Fächer, Journalist und Gründer einer autographierten Zeitungskorrespondenz für Wiener Zeitungen und Zeitschriften. Daneben studierte er als außerordentlicher Hörer Mathematik und Physik an der Universität Wien, wo er den Physiker, Philosophen und Psychologen Ernst Mach (1838–1916) kennen lernte, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. 1865 bis 1868 bekleidete Popper eine Hauslehrerstelle bei einem Zuckerfabrikanten aus Baden (Niederösterreich) in Wien. 1868 bis 1897 lebte er als Erfinder und Schriftsteller. Er erfand unter anderem 1867 eine Dampfkesselreinigung, beschäftigte sich seit etwa 1875 mit Problemen der Luftschifffahrt, besonders dem Ballonflug, entwickelte 1880 einen Drehflügel (»Kaptiv-Schraube«), konstruierte 1889 einen Oberflächenkondensator für Luftfahrzeuge und 1891 einen Luftkühlapparat (»selbstventilierendes Gradierwerk«). 1879/80 verfasste er das Drama »Chaos der Gesellschaft. Lustspiel in fünf Aufzügen«, welchem er später den Titel »Comödie des Lebens oder Die Gesellschaft« gab, und 1880 war er Redakteur der »Wiener Allgemeinen Zeitung« (Wien), zuständig für Technik.
1897 musste Popper den Vertrieb seiner Erfindungen aus gesundheitlichen Gründen aufgeben und widmete sich seither verstärkt ethischen und sozialreformerischen Forschungen. 1901 wurde sein 1899 in Dresden erschienenen Buches »Phantasieen eines Realisten« nach der Interpellation des alldeutschen österreichischen Reichsratsabgeordneten Georg (bis 1888: Ritter von) Schönerer (Wien 1842 – Schloss Rosenau [zu Zwettl], Niederösterreich 1921) wegen des Verbrechens der Gotteslästerung, des Vergehens der Religionsstörung und des Vergehens gegen die Sittlichkeit konfisziert. Im Prozess vom Mai 1901 wurde Popper-Lynkeus von den Anklagepunkten freigesprochen, das Buch blieb in Österreich aber bis 1922 verboten. Das Werk wurde auch von Sigmund Freud (1856–1939) im Zuge seiner Traumforschungen gewürdigt. 1912 entwickelte Popper die Idee einer »Allgemeinen Nährpflicht« an Stelle einer allgemeinen Wehrpflicht, die Marie Jahodas Vater, Carl Jahoda (1867–1926), bewunderte, weshalb auch Marie Jahoda mit Popper-Lynkeus' sozialreformerischen Ideen früh vertraut wurde.
In der Kriegszeit 1914 bis 1918 war Popper-Lynkeus' wirtschaftliche Lage so katastrophal, dass er mehrfach Teile seiner Bibliothek verkaufen musste und auf die Unterstützung von Freunden angewiesen war. 1919 bewilligte ihm schließlich die Stadt Wien eine lebenslängliche Ehrenpension von 6.000 Kronen jährlich. Am Tag vor seinem Tod heiratete er am 21. Dezember 1921 seine Haushälterin Anna Kranner (1863–1936), um ihr und ihrer Nichte Marie Götzy (1882–?), die sich ebenfalls um Popper-Lynkeus kümmerte, den Verbleib in seiner Wohnung zu ermöglichen.

Bücher von Josef Popper-Lynkeus
  • Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben. Socialphilosophische Betrachtungen, anknüpfend an die Bedeutung Voltaire's für die neuere Zeit. Leipzig: Koschny 1878, IV, 137 S.
  • Die physikalischen Grundsätze der elektrischen Kraftübertragung. Eine Einleitung in das Studium der Elektrotechnik. Wien–Pest [Budapest]–Leipzig: Hartleben 1884, 55 S.
  • (Anonym) Fürst Bismarck und der Antisemitismus. Wien: Engel 1886, 150 S.
  • Die technischen Fortschritte nach ihrer ästhetischen und kulturellen Bedeutung. Dresden–Leipzig: Reißner 1888, 70 S.
  • Phantasieen [!] eines Realisten. Dresden–Leipzig: Reißner 1899, 2 Bände:
  • 1. Bd.: 1899, VI, 192 S.
  • 2. Bd.: 1899, 213 S.
  • Voltaire. Eine Charakteranalyse, in Verbindung mit Studien zur Ästhetik, Moral und Politik. Dresden–Leipzig: Reißner 1905, VIII, 391 S.
  • Fundament eines neuen Staatsrechts. Dresden–Leipzig: Reißner 1905, 86 S.
  • Dieses Flugblatt erzählt von dem höchst unziemlichen Benehmen eines Wiener Universitätsprofessors, nämlich des Neuphilologen Philipp Aug[ust] Becker, in einer literarischen Angelegenheit. Wien: Davis 1907, 2 S.
  • Das Individuum und die Bewertung menschlicher Existenzen. Dresden–Leipzig: Reißner 1910, XII, 223 S.
  • Der Maschinen- und Vogelflug. Eine historisch-kritische flugtechnische Untersuchung. Mit besonderer Hervorhebung der Arbeiten von Alphonse Pénaud. Berlin: Krayn 1911, 103 S.
  • Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage. Eingehend bearbeitet und statistisch durchgerechnet. Mit einem Nachweis der theoretischen und praktischen Wertlosigkeit der Wirtschaftslehre. Dresden: Reißner 1912, XVI, 813 S. Teilausgabe unter dem Titel: Nach dem Kriege! Ein Auszug aus dem Werke die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage. Zusammengestellt von Walther Marcus. Andere Teilausgabe unter dem Titel: Des Ingenieurs Josef Popper Allgemeine Nährpflicht als nötige Institution für die Computergesellschaft. Sozialstudie. Andere Teilausgabe unter dem Titel: Materielle Grundsicherung. Popper-Lynkeus' Programm »Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage«. Ein auszugsweiser Reprint herausgegeben und eingeleitet von Emmerich Talos.
  • Selbstbiographie. Als Manuskript gedruckt. Leipzig: Spamer 1915, 143 S. Später unter dem Titel: Mein Leben und Wirken, eine Selbstdarstellung.
  • Friedensvorschläge, Schiedsgerichte, Völkerbund. Wien: Anzengruber-Verlag, Suschitzky 1917 (= Der Aufstieg. Neue Zeit- und Streitschriften. 4/5.), 47 S.
  • Leben und Werke des Ingenieurs Anton Jarolimek. Zugleich ein Beitrag zur Theorie und Geschichte der Aerodynamik und Flugtechnik. Wien: Anzengruber-Verlag, Suschitzky 1917, 27 S.
  • Einige Gesichtspunkte für die Beurteilung der Urheberschaft am Weltkriege. Wien: Selbstverlag 1917, 15 S. Separatabdruck aus: Die Wage, Jg. 1916, Nr. 50/52, & Jg. 1917, Nr. 1/2.
  • [Walther] Rathenau, [Rudolf] Goldscheid, [Josef] Popper-Lynkeus und ihre Systeme. Zusammengefaßt zu einem Wirtschaftsprogramm von Richard Schwarz. Wien-Leipzig: Anzengruber-Verlag, Brüder Suschitzky 1919, 98 S.
  • Eine Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und den Sozialisten. Wien: Verein »Allgemeine Nährpflicht« 1920, 8 S. Separatabdruck aus: Das Ziel.
  • Krieg, Wehrpflicht und Staatsverfassung. Wien–Berlin–Leipzig–München: Rikola 1921, 387 S.
  • Über Religion. Im Auftrage des Verfassers aus dem literarischen Nachlasse herausgegeben von Margit Ornstein. Wien–Leipzig: Löwit 1924, 229 S.
  • Philosophie des Strafrechts. Im Auftrage des Verfassers aus dem literarischen Nachlasse herausgegeben von Margit Ornstein. Mit einem Vorwort von Julius Ofner. Wien–Leipzig: Löwit 1924, 110 S.
  • Gespräche. Mitgeteilt von Margit Ornstein und Heinrich Löwy, mit einem Vorwort von Julius Ofner. Wien-Leipzig: Löwit 1925, 82 S.

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© Reinhard Müller -- Graz, im Oktober 2006

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